CA: Philatelie als Kulturwissenschaft – Berlin 01/16

Zentrum für Literatur- und Kulturforschung
15.01.2016-16.01.2016, Berlin, Museum für Kommunikation Berlin,
Leipziger Str. 16, 10117 Berlin

Obwohl Erfindung und Verwendung der Briefmarke die Kommunikation in der
Moderne geprägt haben, ist ihre Bedeutung in den Kunst-, Kultur- und
Sozialwissenschaften kaum gewürdigt worden. Im Gegensatz zur Numismatik
ist die Philatelie keine akademische Disziplin geworden, da Briefmarken
- anders als Münzen - keine lange, in die Antike zurückweisende
Tradition haben. In dieser Hinsicht lässt sich die Briefmarke mit der
Photographie vergleichen. Beide haben sich seit etwa 1840 als neue
Bildmedien etabliert, beide wurden von den etablierten Wissenschaften
und Künsten über Jahrzehnte hinweg ignoriert. Doch sind Fotos inzwischen
Gegenstand unzähliger Untersuchungen in unterschiedlichen Disziplinen
geworden.

Wie im Falle der Photographie haben sich zunächst vor allem akademische
Außenseiter mit Briefmarken beschäftigt. Unter ihnen ragen aus heutiger
Sicht Aby Warburg und Walter Benjamin hervor, die unabhängig voneinander
1927 Überlegungen zur historischen, politischen und ästhetischen
Bedeutung des Gegenstands formuliert haben: Warburg in einem Vortrag,
der eng mit seinem letzten Dokumentationsprojekt, dem Bilderatlas
»Mnemosyne«, verknüpft war; Benjamin in einem Feuilleton-Beitrag, den er
in sein Aphorismen-Buch »Einbahnstraße« (1928), einem frühen Versuch zur
Diagnose der Moderne, übernahm.

In beiden Fällen handelt es sich um knappe Ideenskizzen, deren Bedeutung
lange Zeit übersehen wurde: Warburg veröffentlichte seinen Vortrag
nicht, Benjamins Formulierungen waren stark poetischer Natur. Dennoch
werden hier erstmals Theorien skizziert, die in der neueren Kunst- und
Kulturgeschichtsschreibung herausragende Bedeutung bekommen haben: die
massenhafte Reproduktion und die globale Verbreitung von Bildern, die
Bedeutung populärer Bilder als Ausdruck kollektiver Denk- und
Vorstellungswelten, das Sammeln als kulturanthropologisches Phänomen,
die Dokumentation alltäglicher Gebrauchsgegenstände als Grundlage der
Kulturgeschichtsschreibung, Mikrologie als Methode philologischer und
kulturwissenschaftlicher Analyse.

Das Kolloquium wird die Ideen Warburgs und Benjamins aufgreifen, um den
kulturhistorischen, politischen und ästhetischen Status der Briefmarke
zu analysieren.


Eine Tagung des Zentrums für Literatur- und Kulturforschung Berlin (ZfL)
in Kooperation mit dem Museum für Kommunikation Berlin

Konzept und Organisation: Dirk Naguschewski, Detlev Schöttker (ZfL)

Mit freundlicher Unterstützung durch SCHLEGEL - Berliner Auktionshaus
für Philatelie

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Freitag, 15.01.2016
(Öffnungszeiten des Museums 9.00-17.00)

9.15-11.00
Oliver Götze (MfK)/ Dirk Naguschewski (ZfL)/ Detlev Schöttker (ZfL):
Begrüßung

Moderation: Dirk Naguschewski (ZfL)

Andreas Hahn (Archiv für Philatelie Bonn): Essenz einer Nation? Die
Germania-Marken des Deutschen Reichs

Detlev Schöttker (ZfL): Politische Philatelie in der Weimarer Republik.
John Heartfield und Wieland Herzfelde

11.30-13.00
Moderation: Detlev Schöttker (ZfL)

Gottfried Gabriel (Jena):  Die politische Bildersprache der Briefmarken

Oliver Götze (MfK): Post von d'Annunzio. Propaganda auf Briefmarken des
Freistaates Fiume, 1919-1924

14.00-16.30
Moderation: Oliver Götze (MfK)

Franz-Josef Pütz (Berlin): Briefmarken als Medium der Kommunikation. Das
Beispiel Afghanistan seit 1928

Roman Siebertz (Bonn): Briefmarken als politisches Medium. Das Beispiel
Irans

Silke Plate (Bremen): Visuelles Protest-Medium. Die
»Untergrundbriefmarken« der polnischen Oppositionsbewegung der 1980er
Jahre


Samstag, 16.01.2016
(Öffnungszeiten des Museums 10.00-18.00)

10.30-13.00
Moderation: NN

Steffen Haug (HU Berlin): Die philatelistische Korrespondenz Warburgs

Frank Zöllner (Leipzig): Die Geburt der Bildwissenschaft aus dem Geist
der Philatelie? Aby Warburg und die Briefmarke

Michael Diers (HfbK Hamburg/HU Berlin): Meerfabrik und Fieberkram.
Briefmarkenzeichen bei Warburg, Benjamin und in der Nachfolge

14.00-15.30
Moderation: Margarete Vöhringer (ZfL)

Isabella Woldt (Warburg Institute London): Von der Tapisserie bis zur
Briefmarke. Warburgs Florentiner Vortrag von 1927

Tom Steinert (TU Berlin): Komplexe graphische Repräsentation im Werk von
Otto Rohse

16.00-17.30
Moderation: Eva Geulen (ZfL)

Dirk Naguschewski (ZfL): Markenkunst

Ulrike Vedder (HU Berlin): Plot und Paranoia. Zur historiographischen
Funktion literarischer Briefmarken bei Pynchon, Roth und Schrott

Tagung - Philatelie als Kulturwissenschaft
<http://www.zfl-berlin.org/veranstaltungen-detail/items/philatelie-als-kulturwissenschaft.html>

URL zur Zitation dieses Beitrages
<http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/termine/id=29787>


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